Toter Hamster
David Bösch bringt in Essen "Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" von Werner Schwab auf die Bühne. Ein böses Stück in einer fürchterlichen und gerade deshalb glänzenden Inszenierung
Theater ist eine merkwürdige Sache. Da sitzt man im Dunkeln, will schauen und
staunen und, vielleicht, etwas lernen über die Welt. Und dann kommt etwas über
einen, das ist so wahr und klar und dreckig, dass einem schwarz werden könnte
vor Augen, wenn man es nicht vorher gewusst hätte; nicht nur, weil Werner Schwab
ein bekannter Stückewüterich war, sondern auch, weil das Leben so ist. Perfide,
hasserfüllt, gemein.
Es ist wie eine wütende Gegenrede zum Hohelied auf die Familie, das derzeit
überall angestimmt wird: die Familie als Ort des Glücks; und Kinder machen ihn
zum Paradies. David Bösch (28), der faszinierende Hausregisseur des Essener
Theaters, zeigt mit dem Berserker Schwab, dass das Gegenteil genauso wahr ist.
Kinder, Familie, Gemeinschaft, das kann die Hölle sein. Bösch erzählt die
bösartige Geschichte virtuos.
"Es ist ein Ros entsprungen", singt es mehrstimmig, als das Licht im Saal
verlischt, und ein putziger kleiner Engel kollert aus einem Kühlschrank auf die
Bühne. Weihnachten unterkühlt? Vielleicht. Kann sein. Jedenfalls spielt das
Christentum in dieser Groteske eine perverse Rolle.
Man sieht: eine schäbige Küchenzeile, dahinter auf einem Podest ein weißer
Flügel. Niemand wird darauf spielen. Vorn hockt in einer Badewanne ein Dicker
mit einem Zeichenblock, vor der Küchenzeile eine Vettel. Er hat einen Klumpfuß,
sie ständig die Zigarette im Maul, und sie beschimpfen einander zum
Gotterbarmen. Das ist kein Streit. Es ist Alltag.
Die Mutter begeifert den Sohn, der ihr angedreht wurde in einer leichtfertigen
Nacht, der Sohn nennt sie böse sein göttliches Muttilein und erzählt, wie der
Onkel Vormund ihn missbraucht hat, damals; dafür und für alles andere würde er
dem Muttilein jetzt gern einen Korkenzieher in den Kopf rammen und - nein, das
geben wir nicht wieder, was er dann noch gern tun würde.
Das Muttilein wird vom Krüppelsohn an ein Kreuz aus Besenstielen geknotet, mit
Müllsäcken, und Muttilein schreit Au! bis die Nachbarn klopfen, die wackere
Familie Kovacic, die energisch darauf hinweist, dass man seit zwei Generationen
den deutschen Pass hat. Hier ist zum Glück alles in Ordnung, die Mutter drillt
Mann und Töchter mit der Trillerpfeife zu Liegestütz und Liebesäußerungen,
später trampelt der Vater den Hamster tot und zieht die Tochterkörper auf seine
Väterlichkeit.
Es ist Schwabs Kunstsprache, ein irgendwie überdrehtes Österreichisch, das all
diese Geschichten endgültig ins Absurde stürzt; es lässt den Irrsinn in ein
böses Lachen laufen, das nicht sein darf und doch nicht im Zuschauerhals
steckenbleibt. Und so sagt denn Frau Grollfeuer, die dritte Partei im Haus, über
ihre lauten Nachbarn: "Alles Minderwertige trifft sich ja immer ohne eine
Verabredung." Frau Grollfeuer ist Professorenwitwe, aber jeder weiß, dass sie
eine Hexe ist. So eine böse alte Frau, fast hätte sie den Krüppel geküsst, aber
weil sie giftig und allein ist, lässt sie nur merkwürdige giftige Reden ab und
lädt alle Nachbarn zum Geburtstag ein, die Frau Wurm mit ihrem bekloppten
Hermann und die Kovacics mit den prallbrüstigen Töchtern; und am Ende sind alle
tot, weil die Frau Grollfeuer die Geburtstagstorte vergiftet hat.
Man könnte es sich leicht machen und darauf verweisen, dass Werner Schwab in
desolaten Verhältnissen groß geworden ist, aber das würde nicht erklären, warum
das Stück gezeigt wird. Und, es hilft nichts, die Antwort lautet: weil die
Familie der Ort ist, an dem Bosheit und Gewalt zuerst erfahren werden.
Die Inszenierung ist glänzend; die verworrene Drehbühne (Patrick Bannwart) mit
Schränkchen und Lämpchen und Sesseln und Küchenzeile entspricht dem
Durcheinander der Emotionen, und die Schauspieler sind fabelhaft, allen voran
Sierk Radzei als onanierender Böskrüppel, Siegfried Gressl als ekliger Vater
Kovacic und Jutta Wachowiak als Racheenegel Frau Grollfeuer. Alle Achtung vor
dieser Leistung, die überdies den Vorzug hat, werktreu zu sein. Ein böser Abend,
der mit großem Applaus belohnt wurde.
Karten: 0201/8122200
waz ▪ 19.03.