Interview mit einer Hexe

Der jüngste Frauenberuf

 

Die Karte, die in feinem Kupferstich und gewählter Type vor mir lag, erschien mir etwas unverständlich. »Magda C. empfiehlt sich zur Durchführung metaphysischer Aktionen.« Metaphysische Aktionen? Was war das? Handelte es sich um Geisterbeschwörungen, mediumistische Angelegenheiten? War Magda C. eine Mittlerin auf den Wegen spiritistischer Wissenschaft? Was tat sie? Wer war sie und wie sah sie aus? Jedenfalls konnte hier eine kleine Tapetentür in das Gebiet des Wunders kühl und unpathetisch geöffnet werden.

Allem Anschein war Magda C. keine bleiche Theosophin am Rande peinlicher Verzückungen. Die mondäne Ausführung der Geschäftskarte ließ das deutlich erkennen. Hier gab sich klare Sachlichkeit kund, geschult an den Methoden neuzeitlicher Bedarfsdeckung. Ich lud sie telephonisch zu einem Besuch ein.

 

Eine junge, ausgezeichnet gekleidete Dame von höchst distinguiertem Aussehen erscheint, nimmt in einem Fauteuil Platz und beginnt:

»Ich bin Magda C., der Familienname tut nichts zur Sache. Es ist mir natürlich vollkommen klar, daß Sie sich unter metaphysischen Aktionen nichts Bestimmtes vorstellen können. Mein Fach, wenn ich so sagen darf: mein Beruf, bedarf einer kurzen Erklärung. Zweifellos wissen Sie, daß wir in einem metaphysisch orientierten Zeitalter leben, trotz dem allgemeinen Gerede von dem krassen Materialismus und so weiter ... «

»Gewiß! Wollen Sie mir aber gleich zu Beginn ohne besondere Einleitung sagen, worin Ihre metaphysischen Aktionen bestehen? Was machen Sie also?«

»Ich wünsche«, sagt sie schlicht. »Nichts weiter. Ich übernehme Wunschaufträge aus besseren Gesellschaftskreisen. - Wünsche, entsprechend intensiv gehegt, greifen in den Ablauf der Dinge ein. Wünsche haben Kraft. Aber die meisten Menschen sind kraftlos oder zu bequem, um selbst zu wünschen. Solchen Leuten stelle ich mich gegen mäßige Entlohnung mit meiner besten bewährten Wunschkraft zur Verfügung. Ich übernehme ihre Wünsche in mein Programm, wünsche für sie stark und zuversichtlich. Sie sind entlastet, Bedrückung weicht von ihrer Seele, sie können ins Theater gehen, ins Konzert, auf Bälle, mit dem beruhigenden Gefühl, daß ihre Sache, ihre Wünsche sich in der Obhut einer erprobten Kraft befinden ... «

 

»Was wünschen Sie also, gnädiges Fräulein? Vielleicht einige Beispiele.«

»Meistens Tod und Verderben«, sagt sie freundlich lächelnd. »Vermögensverlust, Blamage und leichten Schaden. Diesem wünsche ich einen Defraudanten ins Geschäft, jenem eine belanglose, aber lästige Hauterkrankung. Die Wünsche, besonders die meiner weiblichen Klientel, gehen oft sehr ins Detail. Verlust eines Schmuckstückes, Haarausfall, rapide Gewichtszunahme - das ist sozusagen meine Kurrentware. Es gibt Leute, die ältere magische Bücher gelesen, sich an Eliphas Levi oder Papus gebildet haben und infolgedessen an einem strengen Zeremoniell hängen. Ich halte nicht viel davon, aber ich lasse ihnen ihr Vergnügen. Sie händigen mir Photographien ihrer Feinde ein, beauftragen mich, sie mit einer goldenen Nadel zu durchstechen oder kleine Wachsfiguren zu verfluchen, die symbolisch ihre Gegner darstellen. Die Hauptsache bleibt: die Konzentration, der intensive, aufs Ziel gerichtete Wille.«

 

»Und haben Sie Erfolge? Ich meine: erfüllen sich Ihre Wünsche beziehungsweise die ihrer Auftraggeber? Können Sie von Ihrem merkwürdigen Beruf leben?«

Sie machte eine elegante umfassende Bewegung mit der Hand. »Blicken Sie doch einmal um sich! Schon Sie nicht überall auf der Straße Menschen, die laut mit sich selbst sprechen, mit den Händen gestikulieren? Was tun diese Leute? Sie wünschen. Heiß! Inbrünstig! Wünschen Tod und Verderben, Jammer und Zusammenbruch. Glauben an die vernichtende Macht ihrer Wünsche, schöpfen Trost und Lebensmut daraus. Halten Sie das für kein lebenswichtiges Bedürfnis, das nach Befriedigung schreit? Das für einen findigen Menschen Gegenstand eines auskömmlichen Gewerbes sein kann? Wie steht es mit den Kartenaufschlägerinnen? Doch gewiß nicht anders. In früheren Zeiten begnügte man sich damit, einer Kuh die Milch zu verwünschen oder die Felder zu behexen. Da s Leben ist vielfältiger geworden, die Möglichkeiten sind gewachsen. Es gibt Handel, Industrie, Geldwirtschaft. Aber die menschliche Seele ist im Grunde genommen gleich geblieben. Wenn Sie wollen, können Sie mich eine moderne Hexe nennen ...«

 

Sie zog Puderdose und Spiegel hervor und legte etwas Rot auf.

»Sie werden mir das alles nicht glauben«, fuhr sie fort, »aber was ich Ihnen sage, ist buchstäblich wahr. Ich habe mir die sogenannten Abgründe der Seele nutzbar gemacht. Das erstemal war es ein Witz, eine Laune. In Gesellschaft machte ich mich scherzweise erbötig, in Vertretung eines vielbeschäftigten Großindustriellen einem seiner Feinde einen Autounfall an den Leib zu wünschen. Am übernächsten Tag hatte es sich erfüllt. Die Sache sprach sich herum. Heimlich kamen Leute in meine Wohnung, die ich nicht kannte, führten vorsichtig tastende Gespräche über den Unfall. Sie seien an mich empfohlen, sie würden gerne ... man könnte ... okkulte Einflüsse ... metaphysische Aktionen ... Ich wußte genug. Heute lebe ich davon.«

 

»Und Ihr Gewissen?«

»Strafrechtlich ist die Sache nicht. greifbar. Hexerei zählt in unserem merkwürdig aufgeklärten Zeitalter nicht mehr zu den Delikten, obgleich ich der Meinung bin, daß man im Laufe der Zeit wieder eine diesbezügliche Bestimmung in das Strafgesetz wird aufnehmen müssen. Und ob ich wünsche, oder meine Klienten, bleibt sich theoretisch im Effekt ganz gleich. Im übrigen ist das Ganze ja eine Sache des Glaubens ...«

»Können Sie mir eine Liste Ihrer Klienten zeigen?« »Nein, das kann ich natürlich aus Gründen der Diskretion nicht. Aber Sie würden staunen, welche Persönlichkeiten dazu gehören. Leute, die an prominenter Stelle im öffentlichen Leben stehen. Bankmenschen, die meine Kraft bei komplizierten und schwierigen Transaktionen heranziehen. Industrielle, die mich für einen neuen Artikel interessieren. Jeden Montag werde ich zu dem Generaldirektor eines großen Industriekonzerns eingeladen, der auf meine übernatürlichen Kräfte schwört und sich ihrer bei allen seinen Geschäften bedient. Sie sind skeptisch, erstaunt, betroffen. Aber in zwei, drei Wochen, dessen bin ich mir sicher, werde ich auch Sie zu meinen Klienten zählen. Stemmen Sie sich nicht dagegen! Es hat keinen Sinn. Sie werden kommen. Ich weiß es. Die Sache liegt zu sehr in der Luft, stimmt zu gut zu der gegenwärtigen psychischen Verfassung der Menschen, zur allgemeinen Situation. Die moderne Hexe ist eine notwendige Zeiterscheinung ... «

 

Diese junge, gut aussehende, elegante, sehr mondäne Dame gibt es wirklich. Ich habe mit ihr wirklich und wahrhaftig gesprochen, sie ist in meiner Wohnung gesessen, harmlos plaudernd, als handele es sich um die gewöhnlichste Sache der Welt. Und ich denke, es verdient aus kulturgeschichtlichen Gründen aufgezeichnet zu werden, daß im Jahre 1927 eine Hexe sich etablieren konnte und in der Lage war, von ihrem Gewerbe auf mehr als bürgerlichem Fuße zu leben.

Ihre Kleidung war sicherlich aus einem ersten Salon.

 

Billy Wilder