Es war einmal ein Revier

Das Revier konnte man riechen, noch ehe man seine Silhouette erblickte. Und dann, zwischen Duisburg und Dortmund: endlose Gleisfelder zwischen dampfenden Kokereien und leblosen Halden; Asphalttrassen, die Region wie Gürtel zusammenschnürend; Wege, die durch ocker-stumpfe Siedlungen mäanderten - Weiß nur ein Traum, die Städte auswechselbar.

Bis heute wollen diese Bilder nicht vergehen. In zahllosen Graustufen haften sie im kollektiven Gedächtnis, immer wieder mit Bedacht auf seidig-schimmernden Glanz gebracht, damit der Mythos vom schwarzen Gold nicht verblasse und die Solidarität nicht schwinde. Noch heute, fünfzig Jahre nach den ersten schwarzen Fahnen über der Ruhr, liest sich manche Geschichte so, als sei die Zeit stehengeblieben: wütende Kumpel, sorgenvolle Kommunalpolitiker, ewig mahnende Kirchenmänner. Doch die Wirklichkeit hat das Klischee einer Region längst hinter sich gelassen, die im Rhythmus von Schichten und Abstichen lebt und deren Vitalität sich an der Zahl der Fördertürme und Schlote ablesen lässt.

Die Zeit nach der Kohle hat längst begonnen

Während im Norden, an Emscher und Lippe, die Zechen einen langen, wohldosierten Tod sterben, die Menschen mit den polnischen Namen fliehen und Minarette anstelle von Kirchtürmen in den Himmel wachsen, ist im Süden, im Westen und Osten die Musealisierung der Vergangenheit weit fortgeschritten. Die Zeit nach der Kohle hat längst begonnen.

Kunsthallen anstelle von Wetterschächten, Einkaufszentren auf Industriebrachen, Hochschulen dort, wo Hochöfen standen, Billigflieger statt Taubenzucht, ins Musical statt zum Mandolinenorchester - am Beginn des kommenden Jahrzehnts, acht Jahre vor dem mutmaßlichen Ende des subventionierten Steinkohlenbergbaus, will sich das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas präsentieren. Selbst dort, wo sich noch immer die Räder drehen und Dampfwolken aus breiten Schloten lange Schatten werfen, ist das Ruhrgebiet nicht mehr das, was es einmal war. Als die Bahn uns jüngst in das Niemandsland zwischen Recklinghausen und Wanne-Eickel verschlug, öffneten wir das Abteilfenster und rochen - nichts. Stattdessen hellglänzender Reif im Licht der tiefstehenden, klaren Wintersonne.

 

faz, 10.02.