Eine Revolution des Sozialstaats

 

Berlin. Die Idee bedeute "eine Revolution des heutigen Sozialstaats" - das sagen auch ihre Befürworter: Der Staat zahlt jedem einzelnen Bürger - "von der Wiege bis zur Bahre" - einen Betrag von monatlich 600 Euro - ohne dass dies an irgendwelche Voraussetzungen geknüpft wäre. Sämtliche übrigen Sozialleistungen fielen dafür weg.

Ein solches bedingungsloses Grundeinkommen oder auch Bürgergeld sei nicht nur "kostenneutral finanzierbar", sagten jetzt Wirtschaftswissenschaftler bei der Vorstellung ihres Modells in Berlin. Es sichere auch nachhaltig den Sozialstaat und schaffe neue Arbeitsplätze. Thomas Straubhaar, Di rektor des Hamburger WeltWirtschaftsinstituts, sieht ebenso wie sein Kollege Michael Opielka von der FH Jena keine Alternative. Leichte Korrekturen am bestehenden Sozialsystem reichten nicht aus, um steigende Ausgaben und sinkende Leistungen aufzuhalten.

Finanziert würde das Grundeinkommen nach diesem Modell durch den Wegfall aller anderen Sozialleistungen und ein neues Steuersystem. Bei einem Bürgergeld von 600 (darin enthalten sind 200 Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung) müssten alle darüber liegenden Einkünfte mit 49 Prozent besteuert werden, damit das System finanzierbar sei, rechnete Straubhaar vor. Dies bedeute für den Bürger netto sogar eine Steuerentlastung - da das Grundeinkommen wie ein Freibetrag wirke. Trotz einheitlichen Steuersatzes würden Menschen mit höherem Einkommen auch nach wie vor vergleichsweise stärker zu Kasse gebeten.

Ursprünglich hatte es vor allem bei der FDP und den Grünen Sympathien für ein solches oder ähnliche Modelle gegeben. Nun tritt auch Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) für ein "solidarisches Bürgergeld" ein. Die Linkspartei ist im Grundsatz für ein Grundeinkommen. Im Einzelnen zeigen die Modelle aber insbesondere bei der Finanzierung große Unterschiede.

Am wenigsten Anklang findet die Idee bei der SPD, die das Althaus-Modell unsozial und leistungsfeindlich nannte. Arbeitslose würden so noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Manche Wirtschaftswissenschaftler halten die Idee für nicht bezahlbar. Außerdem sei schwer zu kalkulieren, welche Impulse es auf den Arbeitsmarkt haben werde.

Auch Straubhaar und Opielka räumen ebenso wie der Wirtschaftsethiker Michael Schramm ein, dass ein Argument gegen ein Bürgergeld sprechen könnte: Worin liegt noch der Leistungsanreiz, wenn jeder Bürger monatlich sein Geld überwiesen bekommt, egal ob er arbeitet oder nicht? Das Bürgergeld soll nur in existenzsichernder Höhe liegen, antworten sie den Kritikern dann gleich selbst. Damit würden sich die meisten Menschen nicht zufriedengeben.

Außerdem mache Arbeit schließlich auch Spaß und sorge für soziale Integration, sagte Straubhaar. Und: Dass derjenige, der nicht arbeiten wolle, dies auch nicht tue, dass gelte auch unter den Bedingungen von Hartz IV.

 

Jens Peter Dohmes ▪ Osnabrücker zeitung ▪ 27.03.2007